Themenblatt - Unverdient und 1620
1620
Die Jahreszahl wirkt ziemlich künstlich und unglaubwürdig exakt. Sie soll den Beginn der Neuzeit repräsentieren:
Ende des Mittelalters - Anfang der Moderne.
Natürlich ist diese genaue Zahl nicht wirklich richtig: Sie stellt eine Formel dar, die man sich merken kann wie: "333: Issos- Keilerei" und signalisiert das Ende des „langen 16. Jahrhunderts“, einer 200 Jahre langen Umbruch- Phase, in der nach allgemeiner Auffassung das Mittelalter zu Ende ging.
Aber sie ist dennoch richtiger als man spontan vermutet: Eske Bockelmann stellte nämlich fest, dass sich tatsächlich ziemlich genau um 1620 eine epochale Veränderung in Mitteleuropa vollzog, die sich mit rasender Geschwindigkeit über die Welt verbreitete und heute weltweit so dominant ist, dass sich niemand mehr auch nur etwas anderes vorstellen kann: die Entstehung des Taktrhythmus.
Sein Auftreten läßt sich so präzise datieren, weil es verschiedene Zeugnisse von Komponisten gibt, die genau zu dieser Zeit begannen, ihre Kompositionen auf die Basis eines festen Taktschemas zu stellen. Und Eske Bockelmann („Im Takt des Geldes“) führt diesen historischen Bruch auf eine sehr gründlich wirkende völlig neue Alltagserfahrung zurück, die die Menschen um diese Zeit regelrecht zwang, von da an Musik taktrhythmisch zu empfinden.
Diese Alltagserfahrung, die damals neu war, aber seitdem den Menschen in Fleisch und Blut überging, identifiziert Eske Bockelmann als die Durchsetzung der Geldlogik: Ab 1620 wurde die bestimmende Alltagserfahrung der Menschen (zunächst in den Städten Mitteleuropas), dass alles etwas kostet, dass die eigene Reproduktion ohne Geld nicht mehr möglich ist. Tatsächlich muß ja die Herrschaft der Geldlogik irgendwann angefangen haben - In der Antike und im Mittelalter und in der gesamten Geschichte der Menschheit spielte das Geld nicht diese zentrale und unvermeidbare Rolle, wie wir sie heute selbstverständlich finden.
Eske Bockelmann führt seine Argumentation sehr gründlich auf über 200 Seiten seines 500 Seiten starken Buches, greift alle nur denkbaren Einwände auf und ist sich der psychischen Widerstände (auch der eigenen) voll bewußt, die gegen seine Beweisführung stehen: Seine Argumentation ist einfach schlagend: Der so unwahrscheinlich klingende Zusammenhang zwischen der Entfaltung der Geldlogik und der „Erfindung“ des Taktrhythmus ist verblüffend und damit wird dann auch eine so unwahrscheinlich genaue Datierung möglich: 1620 Dass damals der Taktrhythmus „entstand“, ist musikhistorisch bekannt. Dass auch andere Historiker den Beginn der Neuzeit um die Jahrhundertwende 16/17 legen, ebenfalls. Dass dieses neue Rhythmusgefühl etwas mit der Durchsetzung der Geldlogik zu tun hat, und dann ziemlich genau datierbar wird, das Resultat Eske Bockelmanns Forschung. (zB wurde fast genau um diese Zeit – 1623- auch die erste (mechanische) Rechenmaschine der Welt in Tübingen konstruiert).
Spannend geschrieben und nachzulesen in: Eske Bockelmann, Im Takt des Geldes, Springe 2004, bes. S.176 ff "Die Synthesis am Geld", S.189 ff "Geld entsteht- Was entsteht da?" und S.213 ff "Das >lange< 16. Jahrhundert"
Uli
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