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z.B. Flatrate

Flatrate...

Meine kritischen Freunde lachen, wenn ich davon anfange: „Flatrate, was soll daran neu, revolutionär sein? Das ist doch nichts anderes, als eine betriebswirtschaftlich knallharte, egoistische Kalkulation von Unternehmen: sie wollen damit Kunden anlocken, Geschäfte machen!“ Und Elvira sagt: „Glaubst du, dass irgendein Restaurant freiwillig "all inclusive" einführt? Die machen das doch nur aus Verzweiflung, weil ihnen die Gäste ausbleiben!“

Klar kommt die flatrate oder all inclusive nicht aus irgendeinem revolutionären Bewusstsein, sondern selbstverständlich aus einer gewinnorientierten unternehmerischen Kalkulation. Sie ist ein normales kapitalistisches marktwirtschaftliches Angebot. Trotzdem, glaube ich, bedeutet sie auch einen Paradigmenwechsel:

Wert- Verwertung (Geld machen) gelingt ja immer nur über irgend einen Gebrauchswert, jede Ware muss es schaffen Käufer zu finden, und diese Käufer wollen mit dem Kauf der Ware irgendein Bedürfnis befriedigen. Das muss nicht rational, sinnvoll, menschenfreundlich usw. sein, aber es liegt dem Kaufakt regelmäßig zugrunde. Wenn die Idee der "flatrate" und des "all inclusive" und des "freien Buffets" sich immer mehr ausbreitet, nach meinen Recherchen z.B. bei Urlaubsangeboten regelrecht boomt, dann muss diese Idee irgendein akutes starkes Bedürfnis von Menschen widerspiegeln.

Der erste Gedanke könnte sein, dass es den Konsumenten nur darum geht, Geld zu sparen, dass sie also mit spitzem Bleistift nachrechnen, ihren geldlichen Vorteil einschätzen, sich knallhart ökonomisch ( eben als "homo oeconomicus") verhalten. Annette schätzt ihre all- inclusiv- Kunden im Reisebüro eher so ein. Trotzdem spricht auch einiges dagegen, dass es nur ums Geld geht.

Pauschal Tickets, wie zum Beispiel Tickets 2000 im Ruhrgebiet, die BahnCard, Jahreskarten für Freibäder oder Fitnessstudios, die Telefon- Flatrate usw. werden nicht nur gekauft um Geld zu sparen, sondern auch, weil sie ein neues Lebensgefühl versprechen. An der Werbung für Flatrates zum Beispiel kann man das erkennen. Hier wird nicht in erster Linie mit dem Preisvorteil geworben, sondern mit der neuen Freiheit, die diese Methode der vorweg - Bezahlung (pauschal) verspricht. Auch in einigen Telefonshops, in denen ich nachfragte, erfuhr ich, dass der Erfolg zum Beispiel der neuen Handy- Flatrate nicht in erster Linie auf den individuellen Preisvorteil, sondern das bessere Lebensgefühl zurückzuführen sei (nicht mehr rechnen, auf die Uhr schauen, sich einschränken müssen).

Jahrelang warben die Telefongesellschaften mit dem Angebot einer "sekundengenauen Abrechnung", also dem, was unsere Computer am besten können, und was daher eigentlich im technologischen Trend liegen müsste. Aber viel erfolgreicher war das Angebot der Flatrate: trotz der Möglichkeit einer exakten Abrechnung wünschten sich die Kunden eher eine Befreiung von der ewigen Rechnerei.

Ich könnte mir also denken, dass mit dieser neuen Logik (pauschal, all inclusiv, flatrate) ein neues Lebensgefühl, eine neue Kultur sich ankündigt. Das ewige rechnen, Preise vergleichen, Schnäppchen machen, Sonderangebote finden, gute Geschäfte machen, die Angst zu viel zu bezahlen ("ich bin doch nicht blöd!"Media-Markt) usw. scheint viele Menschen inzwischen zu nerven. Das vermittelt ein Gefühl von Enge, Kleinheit, Abhängigkeit, Unzufriedenheit. Schon im alten Rom überließen die Patrizier ihre Geldgeschäfte den Sklaven, weil sie diese langweilten und in ihrer persönlichen Würde verletzten, weil sie nicht zu ihrem großzügigen, freien Leben passten.

Vielleicht ist heute, nach dem (Um-) Weg über die brutale Dynamik der kapitalistisches Geldlogik der historische Zeitpunkt gekommen, an dem diese alten Privilegien der römische Patrizier für immer mehr Menschen zur realen Lebensmöglichkeit werden.

Der Zugang ist zwar (noch) nicht frei - es muss ein Eintritt (die Pauschale) bezahlt werden - aber dann öffnet sich durchaus ein Raum, in dem eine neue Logik herrscht, in dem ein neues Lebensgefühl entstehen kann: meine Handlungen werden nicht mehr vom Blick in mein Portmonee gesteuert, basieren nicht mehr auf ständiger finanzieller Kalkulation, sondern gehen konkret und unmittelbar von meinen Bedürfnissen aus. Ich entscheide, was mir gut tut, was meine Zufriedenheit und mein Wohlbefinden fördert. Ich frage nicht mehr, was kann ich mir leisten, sondern, was möchte ich haben.

"Na das ist doch dasselbe!", sagt mir eine Kollegin, "dann kontrolliert mich bei "all inclusive" nicht das Geld, aber z. B. das Schönheitsideal der schlanken Linie: ich esse nicht, was und solange es mir Spaß macht, sondern diszipliniere mich selber - lebe also wieder nicht nach Lust und Laune!"

Das ist das Schlaraffenland- Missverständnis: die Alternative zur Geldlogik besteht aber nicht darin, nichts mehr zu tun, sich bedienen zu lassen, faul zu werden und möglichst undiszipliniert zu leben.

Ganz im Gegenteil: während das Geld eine Fremdbestimmung darstellt, die uns bewusste Entscheidungen abnimmt (Wieviel Geld steht mir zur Verfügung, wo gibt's den "günstigsten Preis", wieviel möchte ich "anlegen", was ist wieviel wert, welche Ausgabe lohnt sich finanziell usw.), geht es gerade darum, wieder direkt Verantwortung für sich selber, die anderen und die Natur zu übernehmen. Gerade der Kontakt zu den eigenen Bedürfnissen sollte der Ausgangspunkt sein, um richtige Entscheidungen bewusst fällen zu können. Es ist doch zweifellos würdiger und "vernünftiger", z.B. den persönlichen Alkoholkonsum zu reduzieren, weil man gesund bleiben möchte und deshalb eine bewusste Entscheidung fällt, als aufzuhören, weil man kein Geld mehr hat.

... Fortsetzung folgt...

Uli

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Page last modified on 02.10.2006 20:24 Uhr